Wir schreiben den 09. Februar 2012. Gisbert zu Knyphausen, eingepackt in eine dicke Jacke und eine Mütze, reicht mir die Hand. Er bietet mir einen Kaffee an, den ich angesichts der eisigen Außentemperaturen gerne annehme, während er sich ein Glas Saft einschenkt. Zu zweit suchen wir uns einen ruhigen Raum zum reden. Ich packe das Aufnahmegerät aus, er zündet sich die erste Zigarette an. Er wirkt ein bisschen müde, aber dennoch zufrieden.
LT: Gisbert, danke, dass du dir für Lieblingstape Zeit genommen hast. Du warst nun eine ganze Weile nur deiner Band auf Tour und hast heute hier in Würzburg dein vorerst letztes Konzert. Wie geht es dir jetzt gesundheitlich und vor allem: Was tust du, um deine Stimme gerade bei den aktuellen Temepraturen fit zu halten?
Gisbert: Ich hab auf dieser Tour geschafft, mich weitestgehend mit dem Trinken zurück zu halten. Das hilft auf jeden Fall sehr. Wobei… (grinst) in den letzten Tagen ist das eingerissen. Dementsprechend kaputt bin ich jetzt auch. Aber den Unterschied merke ich schon; ich hab früher auf den Touren echt ganz schön viel getrunken. Das merkt man dann schon, wenn man nur wenig Schlaf auf so einer Tour bekommt und dazu auch noch säuft. Da ist die Kondition dann auch entsprechend im Arsch. Krank bin ich dieses Mal nicht geworden, aber die Stimme ist eben ein bisschen angeschlagen. Das passiert aber auch schnell, weil ich so viel rauche und wenn ich dann auch noch zwei Wochen lang jeden Abend zwei Stunde singe, klingt das noch verrauchter als es sowieso schon ist.
LT: Hättest du denn damit gerechnet, dass die Tour so erfolgreich wird, wie sie nun war? Immerhin waren die meisten Läden ausverkauft oder standen zumindest kurz davor…
Gisbert: Ja, das ist Wahnsinn! Dass es so viel wird, damit hätte ich nicht gerechnet. Es war ja schon 2010 echt richtig gut besucht, von daher hätte ich jetzt auch nicht gedacht, dass es wieder total abebbt oder so… Aber ich bin mal wieder überrascht worden, dass es fast noch besser besucht ist als 2010, als die Platte raus gekommen ist. Dieses Mal hatten wir ja gar nichts im Gepäck.
LT: Du machst mittlerweile seit bald schon sieben Jahren unter deinem Namen Musik und hast in einem Interview mit TV Noir auch schon verlauten lassen, dass du mittlerweile von deiner Musik leben kannst – seit wann würdest du dich denn als Berufsmusiker bezeichnen?
Gisbert: Ich habe mich davor gescheut, den Begriff zu verwenden. Aber ich kann jetzt seit (denkt nach) zwei oder drei Jahren von der Musik leben? Das ist natürlich toll. Ich hab auf jeden Fall Lust darauf, viel Musik zu machen und tatsächlich nur davon zu leben. Aber man weiß ja auch nicht, wie lang das anhält. Es ist schon krass, dass es überhaupt soweit gekommen ist. Ich weiß nicht, wie es in fünf Jahren aussieht. (Lacht) Fünf Jahre werde ich noch Berufsmusiker sein. Gucken wir mal!
LT: Was hast du denn davor gemacht?
Gisbert: Immer irgendwelche Nebenjobs und ich hab in Holland Musiktherapie studiert. Das fand ich auch recht interessant, aber mir war auch recht schnell klar, dass ich kein Vollzeittherapeut sein möchte und dass ich das auch nur begrenzt kann. Ich glaube, ich könnte schon für gewisse Zielgruppen ein guter Therapeut sein, aber ich nehm mir das auch alles immer viel zu sehr zu Herzen. Ich wäre da nach zwei Jahren wahrscheinlich ziemlich schnell ausgebrannt, wenn ich all die Geschichten dann auch mit nach Hause nehme…
LT: Hattest du denn schon immer vor, mal etwas mit Musik zu machen oder sah dein Traumberuf als Kind ganz anders aus?
Gisbert: Vielleicht unbewusst. Also als Kind hab‘ ich da überhaupt nicht darüber nachgedacht. Als Kind fand ich so Berufe wie Briefträger interessant. (Schmunzelt) Ich dachte, man überbringt Menschen gute Nachrichten und bleibt dann für ’ne Tasse Kaffee am Küchentisch sitzen (lacht). Aber ich war schon immer mit Musik beschäftigt, hab aber nie so darüber nachgedacht, damit mal mein Geld zu verdienen. Irgendwann, mit 18 oder so, hab ich dann schon so das Gefühl gekriegt, … es war schon so ein sehr zielloses Gefühl, von wegen „Ich würde gerne etwas Kreatives machen“. Das haben wahrscheinlich viele Menschen.
LT. Und wie bist du dann letztendlich dazu gekommen, Musik zu machen?
Gisbert: Du meinst zum Lieder schreiben? Ich war eigentlich schon die ganze Zeit mit Musik beschäftigt, denn unsere Mutter hat uns, als wir ganz klein waren, zum Klavierunterricht geschickt. Und da ist das dann hängen geblieben, dass ich immer irgendwie ein Instrument gespielt habe. Mit 15 habe ich dann angefangen, keinen Unterricht mehr zu nehmen, sondern auf Gitarre Sachen selbst auszuprobieren.
Dass ich dann selbst singen wollte, das kam dann so über die Jahre während meinem Studium in Holland. Man hat da im Studium ziemlich viel mit Mitstudenten improvisiert. Ich hab mir dann ein kleineres Aufnahmegerät gekauft und versucht, kleine Lieder zu schreiben. Erst einmal auf Englisch, was dann aber irgendwie scheiße war, was dabei raus gekommen ist. Ich kann nicht so genau sagen, wie das passiert ist, dass ich mich entschlossen habe, die Texte auf Deutsch zu schreiben.
Auf einmal war das Cowboy-Lied (A.d.R.: „Wer kann sich schon entscheiden) da, das hatte ich ein paar Leuten gezeigt und die fanden das toll und meinten, ich solle das doch mal vorspielen. Und dann ist das irgendwie immer weiter gegangen (lacht).
LT: Wie kommt es eigentlich, dass du zu Beginn alleine angefangen hast, Musik zu machen und dann aber relativ schnell eine Band mit ins Boot geholt hast?
Gisbert: Weil ich eigentlich viel lieber Musik mit anderen Menschen zusammen mache! Ich weiß, dass das eine Kraft entwickeln kann, wenn man alleine auf der Bühne steht. Es ist viel intimer und kann dadurch auch total aufwühlend sein. Aber ich mach einfach sau gerne Musik mit anderen Menschen zusammen. Deswegen war für mich schon klar, als Stefan, der für mein Label arbeitet, gesagt hat, dass er gerne eine richtige Platte raus bringen würde – da hab ich nicht lange darüber nachgedacht, da war mir klar, dass ich das mit einer Band machen will.
LT: Morgen bringst du nun ein neues Livealbum auf dem Markt. Dein erstes Livealbum, „Live in den Fliegenden Bauten“, gab es nur als Beilage zum Rolling Stone Magazine. Morgen wird es dann schon das zweite in einer relativ kleinen Auflage geben. Wie kam es denn dazu?
Gisbert: Das war ehrlich gesagt auch ohne großen Überlegungen. Das Live-Album, was wir da raus bringen, hat im Prinzip auch nix damit zu tun, was wir heute Abend auf der Bühne machen. (Lacht) Das war ein Auftritt in Dortmund im Konzerthaus, wo die Popbands im klassischen Konzertsaal spielen lassen, und dafür haben wir die Lieder alle in sehr ruhige Bandversionen umgewandelt. So mit Vibraphon und Flügel…
LT: Ich durfte gestern auch schon einmal rein hören – mir gefällt es sehr gut!
Gisbert: Cool, das freut mich (grinst). Es hat auch Spaß gemacht. Wir haben uns da versucht, Mühe zu geben und das in erster Linie für uns selbst als Erinnerungen aufgenommen. Wir haben das ja so nie wieder sonst aufgeführt. Im November haben wir dann das erste Mal rein gehört und uns gedacht: „Oh, da sind doch ein paar Schätzchen dabei!“ Meine Idee war eigentlich eher, das selbst auf eine kleine EP zu machen und auf Tour zu verkaufen. Und dann meinte mein Label „Lieber gleich richtig verkaufen!“ Du weißt ja, wie das ist! (Lacht)
LT: Gab es einen speziellen Grund, warum jetzt genau die Songs auf das Album gekommen sind?
Gisbert: Wir haben einmal nach Versionen ausgewählt, die recht anders klingen als die Albenversionen. Wie zum Beispiel das „Grau, Grau, Grau“, was ganz ruhig geworden ist oder auch „Rastplatz Krachgarten“ in der Bandversion. Und „Erwischt“ klingt auch ganz anders! Und zum anderen waren manche Aufnahme überhaupt nicht gut gelungen. Da hatten wir ganz hässliche Digital-Knachse, weil zum Beispiel das Schlagzeug total übersteuert war. Das war dann eher so in den Stücken, die ein bisschen lauter geworden sind. Die konnten wir dann nicht gebrauchen. Ich finde aber, dass die Auswahl ganz nett geworden ist. Kann man sich antun, …. wenn man möchte (lacht).
Video-Quelle: http://www.kuechensessions.de
LT: Es hat sich rum gesprochen, dass du die vergangenen zwei Wochen auch immer wieder einen neuen Song gespielt hast. Darf man da nun auch bald mit einem neuen Studioalbum rechnen?
Gisbert: Ja, aber es wird kein reines Gibsert zu Knyphausen-Album und auch nicht mit den Musikern. Sondern ich mach‘ mit dem Nils Koppruch so eine Art Zweitband. (Schmunzelt) Ein Zwischenprojekt, wo wir gemeinsame Songs geschrieben haben oder aber auch wie das, was wir jetzt auf Tour und auch heute Abend gespielt haben: Das hab‘ ich geschrieben und wir arrangieren die dann zusammen. Das wollen wir dann im April aufnehmen und im September soll das dann raus kommen. Der Name steht aber noch nicht so ganz fest. Wir haben uns viele alberne Bandnamen ausgedacht. Im Moment steht es bei „Kid Kopphausen und die Steinfeldvariation“! Mal gucken (lacht).
LT: Nun ist mir aufgefallen, dass du in deinen Liedern vor allem die Themen Melancholie, Glück und Liebe thematisierst, weshalb ich jetzt zu jedem dieser Begriffe noch eine Frage habe. Fangen wir mit der Melancholie an. Ein Lied hast du ihr ja komplett gewidmet – wie wichtig ist dir das Thema im Leben?
Gisbert: Die ist immer bei mir, seit ich zurück denken kann. Eine komische traurige Seite in mir, die immer wieder nach vorne kommt. Und die ist insofern wichtig in meinem Leben, dass ich mich so verhalten muss, dass das in mir da ist und ich Wege finde, damit umzugehen und damit zu leben. Denn das wird ja nicht weg gehen. Man kann nur besser damit umgehen und wissen, dass es auch irgendwann wieder vorbei geht. (Schmunzelt) Und das Lied war irgendwie auch mehr so als Witz gedacht. Eine Situation, in der man sich traurig fühlt, obwohl es von den äußeren Umständen eigentlich überhaupt keinen Grund dazu gäbe. Das ist aus einer Situation heraus entstanden, wo ich mir dann dachte, ich muss die jetzt mal ausschimpfen!
LT: Dann gehen wir auch gleich weiter zum nächsten Begriff: Was bedeutet für dich Glück?
Gisbert: Ja, das ist schwierig zu beantworten! So viele Kleinigkeiten… Das ist auch wieder so eine Standartantwort, aber die stimmt ja auch. Manchmal, wenn du im Tourbus sitzt oder im Zug oder sonst wo und du siehst plötzlich eine schöne Landschaft für den Bruchteil von zehn Sekunden, dann kann das ein absolut glücklicher Moment sein! Oder – auch ganz banal – wenn ich mit meinem Mitbewohner zusammen sitze und wir spielen eine Runde Backgammon und hören uns geile Musik an. Das ist auch ein Glücksmoment. Oder wenn man sich verliebt… logischerweise. Es gibt so viele… Um es zusammen zu fassen: Es sind kurze Momente, die genauso schnell wieder weg sind, wie sie gekommen sind und keine anhaltenden Zustände.
LT: Dann wären wir auch schon beim letzten der drei Begriffe: Liebe –
Gisbert: – Ach scheiße! (Gelächter)
LT: – Nächsten Dienstag ist Valentinstag. Zum einen: Rechnest du dem Tag eine Bedeutung an? Und zum anderen: Wie wirst du ihn verbringen?
Gisbert: Zum Valentinstag hatte ich nie irgendeine Beziehung zu gehabt. Das ist ja eigentlich auch eher so ein amerikanisches Ding, ich weiß nicht. Ja, also doch. Ich glaube, früher in der Schule, in der fünften oder sechsten Klasse, da hat man das gemerkt. Da hat man sich dann so Kärtchen geschrieben und ich glaube, ich hab auch einmal so einen Luftballon in Herzform geschenkt bekommen (grinst). Aber ansonsten ist mir Valentinstag richtig egal (lacht). Welcher Tag ist denn das? Dienstag? Da probe ich mit dem Nils für die Platte. Das ist doch auch ein schöner Liebesbeweis! Meine große Liebe Nils Koppruch! (Lacht)
LT: Dann kommen wir ja auch schon zur letzten Frage! Da unser Blog Lieblingstape heißt, würden wir auch von dir gerne wissen, welche drei Songs du auf dein persönliches Lieblingstape packen würdest!
Gisbert: Ähm… Da muss bei mir auf jeden Fall ein Lied von Bright Eyes dabei sein! Das ist meine absolute Lieblingsband. Aber es ist immer so schwer, sich da was raus zu suchen. Sagen wir mal… „Let’s Not Shit Ourselves (To Love And Be Loved)„. Das ist auf der Platte, die einen ähnlich langen Titel hat: „Lifted or The Story Is in the Soil, Keep Your Ear to the Ground“. Ein ellenlanges Lied, zehn Minuten lang oder so, und das hat ne geile Energie! Ach, bei Bright Eyes könnte ich noch 15 Lieder aufzählen! Es gibt immer so viele schöne Songs von denen! (Lacht)
Dann würde ich noch… von Radiohead – scheiße, wie heißt das nochmal? Die Platte hieß „In The Rainbows“ und das Lied heißt „Weird Fishes„! Das ist geil, weil es sich so geil steigert. Die sind Meister darin, mit einem Beat anzufangen, verwobene Klangteppiche darin einzustreuen und als ich ihn die ersten male gehört habe, hat mir der Song das Gefühl gegeben, ich schwebe gleich ab! Sau gute Musik!
Und als drittes nehm ich Sophie Hunger. Die finde ich auch ganz toll. Und zwar das Lied „Headlights“ vom Album „1983“.
LT: Alles klar, dann bedanke ich mich!#
Gisbert: Ja gerne, ich danke dir!
Das Interview führte Arabell Walter.
Fotos: Arabell Walter
Intressantes Interview. Er kommt echt verdammt sympathisch rüber 🙂 Danke!
Echt tolles Interview! Deine Fragen gefielen mir und noch mehr Gisberts Antworten.. =) Einfach großartig, der Mann. Danke dir!!!
[…] Nils im Januar in einem Video-Interview bei Knust TV. Gisbert gab bei einem Interview für den Musikblog “Lieblingstape” im Februar preis, dass der Name “Kid Kopphausen und die Steinfeldvariation” lauten […]